Der Ursprung und die Bedeutung alter Märchen
Man geht davon aus, dass die alten Märchen wohl seit Anbeginn der Menschheit im Kreise von beisammensitzenden Menschengruppen, Stämmen, und Familien ausgetauscht wurden. Diese Märchen dienten sowohl der Unterhaltung als auch der Unterweisung, dem seelischen Unterricht und der Vermittlung alten, traditionellen Wissens. In der Märchenforschung nimmt man an, dass es zu allen Zeiten Weise gab, die die Märchen traditionell bewahrten und weitergaben. Diese Weisen waren über die Zeitalter hinweg häufig Heiler, Schamanen und Priester.
Ein Beispiel ist das Volk der Kelten, das in der Eisenzeit (750 v. Chr. – 5. Jahrhundert n. Chr.) über ganz Europa verbreitet war. Ein keltischer Priester, ein Druide, musste etwa 20 Jahre lernen, bevor er alle Kenntnisse und Weisheiten verinnerlicht hatte. Denn in den Märchen sind alle Geheimnisse unserer Herkunft und unseres Seins verborgen. Neben den Druiden gab es die Vates und die Filid, deren Aufgaben sich teilweise überschnitten und ähnelten. Die Vates vollzogen vermehrt Bräuche und Opfer, während die Filid eher als Barden, Dichter und Sänger wirkten.
Mit der zunehmenden Entstehung großer Städte und der Verschriftlichung des alten Wissens verlagerte sich die Rolle der Erzähler einerseits in die Familien und in die Kunst, blieb aber andererseits in ursprünglicheren Gesellschaftsformen bei den Weisen. Ein besonderes Aufleben der Märchenkultur gab es in der Zeit der Romantik, vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Gelehrte und gebildete Märchensammler spürten die noch existierende mündliche Erzählkultur auf und hielten die alten Volksmärchen schriftlich fest.
Bis heute leben die alten Märchen sowohl in der mündlichen als auch in der schriftlichen Tradition fort. In den letzten Jahren erlebt die Erzählkultur ein erneutes Aufleben. Märchen werden wieder vermehrt in Familien erzählt und finden Ausdruck in Berufen und Berufungen. Der Beruf der Märchenerzählerin zeigt sich heute in vielen künstlerischen Facetten und verdeutlicht das Bemühen, die alten Weisheiten neu zu offenbaren.
Autorin: Danka Rubarth
Quellen: Helmut Birkhan: Die Kelten, Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur, Wien 1997, ISBN 7001-2609-3